Überraschungsentscheidung: Finanzgericht muss Fall erneut aufrollen
Wenn Bürger und Finanzamt einen Rechtsstreit vor dem Finanzgericht austragen, gilt der Grundsatz rechtlichen Gehörs: Die Prozessbeteiligten müssen Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten zuvor hatten äußern können.
Stützt das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, auf den es die Beteiligten nicht hingewiesen hat und der dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gibt, kann ein Verfahrensmangel in Form der Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegen – man spricht in diesem Fall von einer Überraschungsentscheidung.
Wie ein solcher Verfahrensmangel zustande kommen kann, zeigt ein neuer Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH): In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte die Mutter einer volljährigen Tochter gegen ihre Familienkasse auf Festsetzung von Kindergeld vor dem Sächsischen Finanzgericht (FG) geklagt; in dem Finanzrechtsstreit waren nur zwei Ablehnungsbescheide der Familienkasse aus 2015 thematisiert worden. Nachdem die Prozessbeteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hatten, gab das FG der Klage der Mutter statt und verwies darauf, dass eine (bislang nicht erwähnte) unbefristete Kindergeldfestsetzung aus dem Jahr 2014 fortgelte.
Die Familienkasse machte daraufhin vor dem BFH einen Verfahrensmangel geltend und erhielt vollumfänglich Recht. Nach Ansicht der Bundesrichter lag eine Überraschungsentscheidung vor, weil die streitentscheidende Kindergeldfestsetzung aus 2014 vor der Abfassung des Urteils zu keinem Zeitpunkt angesprochen worden war – weder von den Prozessbeteiligten noch von der Berichterstatterin (Richterin). Die Familienkasse hatte daher keinen Anlass gehabt, sich im finanzgerichtlichen Prozess zu dieser Festsetzung zu äußern.
Hinweis: Der BFH hob das finanzgerichtliche Urteil wegen dieses Verfahrensmangels auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück. Nun wird die Familienkasse die Gelegenheit erhalten, sich vor dem FG zur Kindergeldfestsetzung aus 2014 zu äußern. Vor dem BFH hatte sie vorgetragen, dass dieser Bescheid lediglich ein Abrechnungsbescheid gewesen sei, der keine Fortgeltung des Kindergeldanspruchs hätte bewirken können. Das FG wird diesen Vortrag nun prüfen müssen.
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(aus: Ausgabe 08/2017)
Source: Mandanten-Infos